Schreibraum

Physisch gegenwärtige, mit einem Blick erfassbare Schreib- und Lesefläche, auf der ein Komponist aktuell schreibt und mithin denkt. Dabei kann es sich um eine Seite oder einen Bogen Notenpapier (zwei Seiten) oder um mehrere kodikologische Einheiten handeln (z. B. verschiedene auf dem Schreibtisch aufgeschlagene Bögen, Skizzenbücher, Einzelblätter). Dieser unmittelbar im Blick befindliche Schreibraum stellt einen Denkraum her, in dem musikalische Zusammenhänge, die für die aktuelle kompositorische Arbeit gerade relevant sind, gemeinsam wahrgenommen und bearbeitet werden können. Die Bedingungen des jeweilig geöffneten Schreibraums materialisieren sich mitunter in einer besonderen Topographie der Ausarbeitung, wobei z. B. bestimmte Formabschnitte (wie Exposition, Durchführung usw.) immer an der gleichen Position des Schreibraums zu finden sind – s. das Beispiel Haydns in Oppermann 2003. Beethoven selbst setzt den Schreibraum mit Denkraum gleich, wie aus einem 1814 an Treitschke geschriebenen Brief hervorgeht: […] „auch in meiner Instrumental Musick“ sei er es gewohnt, so zu schreiben, dass er dabei „immer das ganze vor Augen“ habe […] (BGA 707). Gelegentlich stellt Beethoven in Skizzenbüchern einen erweiterten Schreibraum her: Dabei wird eines von zwei gegenüberliegenden Blättern gefalzt, so dass drei verschiedene Seiten und die darauf befindlichen Notate gleichzeitig in den Blick genommen werden können (s. Lockwood/Gosman 2013, Bd. 1, S. 14–19).

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