Projektübersicht

Das seit 2014 von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur geförderte Grundlagenforschungsprojekt Beethovens Werkstatt widmet sich Beethovens Schaffensweise und erforscht kompositorische Denk- und Arbeitsprozesse. Dabei werden zum einen die Methoden der genetischen Textkritik weiterentwickelt und gleichzeitig digitale Formen zur Präsentation der Forschungsergebnisse geschaffen. Die im Projekt erarbeiteten Methoden und Darstellungsmöglichkeiten sollen auf andere Komponisten übertragbar sein.

Die noch junge Disziplin der genetischen Textkritik wurzelt in der musikalischen Skizzenforschung und greift Methoden der französischen, literarisch ausgerichteten critique génétique auf. Sie rekonstruiert anhand verfügbarer Werkstattdokumente die Entstehung einer Komposition. Informationen zur Textgenese liefern vor allem die in Beethovens Handschriften enthaltenen Metatexte, die den eigentlichen Notentext quasi begleiten. Aus der deutenden Verknüpfung aller in einem Manuskript vorhandenen Textsorten (Notentexte sowie explizite und implizite Metatexte) kann der zeitliche Verlauf von Schreibprozessen abgeleitet werden. Die Schaffensprozesse können sowohl manuskript-intern, also innerhalb einer einzelnen Handschrift, beobachtet werden, als auch dokument-übergreifend, d. h. in der Aufeinanderfolge verschiedener Werkstattdokumente zu ein und demselben Werk (Skizzen, Werkniederschriften, überprüfte Abschriften bis hin zur Druckausgabe). Der zeitliche Verlauf einzelner Arbeitsschritte und die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Textstadien lassen sich im Codierungsformat MEI, das im Projekt genutzt und erweitert wird, formalisiert erfassen.

Um Schaffensprozesse und die damit verbundenen Textbewegungen zu veranschaulichen und nachvollziehbar zu machen, ist eine digitale Edition ein geeignetes Vermittlungs- und Darstellungsmedium: Genetische Textkritik und Digitale Musikedition sind deshalb symbiotisch aufeinander angewiesen. Eine digitale Edition erlaubt sowohl den direkten Zugriff auf Quellen in Form hochauflösender Digitalisate, als auch deren Verknüpfung mit den Transkriptionen der Notentexte, wobei Befunde und deren Deutung unmittelbar visuell aufeinander bezogen und durch Kommentare erläutert werden können. Durch dieses verknüpfende Zeigen wird nicht nur der verbale Beschreibungsaufwand reduziert, sondern zugleich editorische Transparenz erzielt. Überdies kann der zeitliche Ablauf von Arbeitsschritten und die Abfolge der damit verknüpften Textstadien digital vermittelt werden.

Das auf 16 Jahre angelegte Projekt ist eine Kooperation des Beethoven-Hauses Bonn und des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn. Das Forschungsvorhaben ist in fünf aufeinander aufbauende Module gegliedert.