CollAna
Kollationswerkzeug zur vergleichenden Analyse von Musikdrucken
CollAna ist der Name eines digitalen Werkzeugs (eines Kollationstools), das einen schnellen und zuverlässigen Vergleich von Notendruck-Ausgaben erlaubt, die dem ersten Anschein nach mit satzidentischen Printmedien (Druckplatten, Lithographien, Typendruck u. ä.) hergestellt worden sind, die sich aber im Detailvergleich (Kollation) als variante Druckausgaben erweisen.
Schon in den 1940er Jahren wurde in der angelsächsischen Shakespeare-Forschung für den immens aufwändigen Vergleich scheinbar gleicher Buch-Auflagen eine Apparatur entwickelt, die über ein kompliziertes Beleuchtungsverfahren mit Hilfe von Spiegeln die Seiten zweier Buchexemplare so übereinanderblendete, dass Druckvarianten sofort und leicht erkennbar waren. Dieses von Charlton Hinman (1911–1977) entwickelte und patentierte Verfahren („Hinman-Collator“) gab den Anstoß zur Entwicklung eines auf Notendrucke bezogenen „eHinman“ (CollAna), der den opto-elektronischen Vergleich von historischen Druckexemplaren erlaubt, aber zugleich auch im modernen Notensatz für Korrekturprozesse einsetzbar ist.
Ein ähnliches Tool wurde bereits vor einigen Jahren von Laurent Pugin im Rahmen des Aruspix-Projekts an der McGill University entwickelt. Es erlaubt den Vergleich von Musikdrucken des 16./17. Jahrhunderts. Das Verfahren ähnelt dem von CollAna: Das unterschiedlich eingefärbte graphische Erscheinungsbild („Text“) zweier, als identisch vermuteter Seiten aber möglicherweise differenter Druckausgaben wird übereinandergeblendet, so dass auf einen Blick die partielle Identität bzw. deren Varianz zu erkennen ist. Aruspix zielte aber als Vorstufe eines Optical Music Recognition-Prozesses (OMR) letztlich auf die komplette Erfassung der Inhalte und ihrer Varianten, was im Bereich der älteren Musiküberlieferung angesichts des beschränkteren Zeichenvorrats leichter realisierbar ist als in hochkomplexen Notensatzbildern späterer Jahrhunderte.
Das im Rahmen der im ZenMEM entwickelten Werkzeuge für die digitale Musikedition entwickelte Kollationierungs- und Analyse-Tool CollAna (bitte mit dem Chrome-Browser öffnen) erlaubt einen Vergleich von Musikdrucken auch des 18.–20. Jahrhunderts. Diese besitzen eine hohe Zeichendichte (z. B. im Bereich der sekundären Notation) und oft auch minimale graphische Zeichendifferenz (etwa im Hinblick auf Schlüsselformen, Balkensteigungen, Notenabstände usw.). CollAna bietet eine diesbezügliche feingranulare Vergleichsmöglichkeit.
In vielen Fällen genügt eine simple Überblendung transparenter Vorlagen nicht, weil durch die wiederholte mechanische Beanspruchung der Druckplatten (im Zuge von Nachdrucken) in den Druckausgaben minimale graphische Differenzen auftreten, die jedoch nicht als Textvarianten, sondern lediglich als mechanisch verursachte, graphische Verformungen des Textbildes verstanden werden müssen. Um derartige vertikale und horizontale Verzerrungen auszugleichen, hat CollAna perspektivische Korrektur- und Skalierungsmöglichkeiten entwickelt.
Darüber hinaus kann das Werkzeug ggf. auch dazu dienen, zeilenfall-identischen Nachstich schnell und klar zu identifizieren, weil die minimalen horizontalen und vertikalen Differenzen der Zeichenfolge unmittelbar sichtbar werden. Diese Anwendung funktioniert sowohl auf der Ebene gesamter Seiten, als auch in Teilbereichen der Seiten, wodurch das Werkzeug den Erfordernissen der Kollationierungspraxis vollkommen entspricht. Eine gegenwärtig noch nicht integrierte Lupenfunktion soll bei undeutlichen Sachverhalten Detailstudien erleichtern.
Neben der Möglichkeit des parallelen Blätterns durch vorhandene Digitalisate in den gängigen Formaten (*.jpg, *.tiff, *.png, *.pdf) ist geplant, eine direkte Kollation der in jüngerer Zeit von den Gedächtnisinstitutionen zunehmend im IIIF-Standard zur Verfügung gestellten Digitalisate zu realisieren.
In der Testphase des Werkzeugs hat sich gezeigt, dass das Ausmaß der Eingriffe in historische Druckplatten erheblich größer ist als bislang angenommen. Insofern kann dieses Tool auch einen wertvollen Beitrag zur Materialitätsforschung leisten und die Geschichte des Notendrucks erhellen. Dass CollAna auch Korrekturvorgänge im Bereich des aktuellen Notenneusatzes wesentlich erleichtert, ist ein willkommener Nebeneffekt des Werkzeugs.
Ebenso wurde durch die ersten Erfahrungen beim transparenten Überlagern von digitalen Fotografien oder digitalen Scans deutlich, dass die wiederholte Belastung der Druckplatten bei neuen Druckvorgängen zu Dehnungen führen kann, die nicht zwingend die gesamte Platte, sondern auch Teilbereiche betreffen. Die Anforderungen an die perspektivischen Korrekturmöglichkeiten erweisen sich damit als komplexer als zunächst angenommen.
Das Tool bietet gegenwärtig die Möglichkeit, die Ergebnisse der Überlagerungen zu exportieren; geplant ist längerfristig auch die Speicherung von Zwischenergebnissen, um unterschiedliche Granularitäten der Erfassung solcher Plattenvergleiche zu erreichen bzw. für eingehendere Forschungen jeweils Vorarbeiten nachnutzbar zu machen.
Beethovens Werkstatt beschäftigt sich in Modul 3 mit Beethovens Revisionsdokumenten, die zum Teil an ihn selbst oder an seine Verleger gerichtet waren, um Änderungswünsche in einer weiteren Auflage zu veranlassen. CollAna ermöglicht dabei den Vergleich von Druckplatten bzw. präziser den davon angefertigten Plattenabzügen untereinander, um festzustellen, welche der von Beethoven im Revisionsdokument mitgeteilten Änderungen in einer späteren Auflage übernommen wurden und ob bzw. wo der Verleger zusätzliche Änderungen vorgenommen hat. Ein detaillierter Vergleich steht dabei für die erste und zweite Auflage der Originalausgabe des 5. Klavierkonzerts op. 73 zur Verfügung.
Anastasia Wawilow
Version 1.0.2