Stichlöcher

Beethoven benutzte sowohl professionell gebundene Skizzenbücher als auch Papierbögen, die er vor oder nach der Beschriftung selbst band. Beim Binden wurden Löcher in das Papier gestochen, die auch nach dem Entfernen des Fadens noch Hinweise auf die ursprüngliche Bindung geben können. Viele der Skizzenbücher wurden später von fremder Hand neu gebunden. Die Untersuchung der ursprünglichen Bindung und ein Vergleich mit späteren Bindungen kann in diesen Fällen zu einer Rekonstruktion von Skizzenbüchern beitragen. Von diesen Stichlöchern zu unterscheiden sind solche, die zur Markierung von Schnittpunkten einer Linierung angebracht wurden und für Beethovens Skizzenbücher nicht relevant sind.

Die Skizzenbücher lassen sich nach ihrem Aufbau und ihrer Bindung zur Zeit der Benutzung durch Beethoven in verschiedene von Johnson, Tyson und Winter benannte Kategorien einteilen:

1) Bei Skizzenbüchern mit regelmäßigem Aufbau aus Lagen von zwei bis sechs Doppelblättern und professioneller Bindung, die Beethoven ausschließlich in der Zeit von 1798 bis 1808 benutzte, befinden sich die Stichlöcher nahe der Mittelfalz. Bei einem später entfernten Doppelblatt sind sie daher auf beiden Seiten entlang des Falzes sichtbar. Wurden dagegen einzelne Blätter herausgeschnitten, sind die Stichlöcher möglicherweise nicht mehr sichtbar, wenn der Schnitt in einiger Entfernung vom Falz erfolgte.

2A) Bei Büchern mit regelmäßigem Aufbau aus Lagen von je zwei Doppelblättern und eigener Bindung, wie sie Beethoven zwischen 1812 und 1826 benutzte, befinden sich die Perforationslöcher in der Marginalie zwischen Falz und Notenlinien. Anzahl und Abstand der Löcher variieren.

2B) Anders verhält es sich bei Skizzenbüchern mit regelmäßigem Aufbau aus nur einer Lage, die alle Doppelblätter umfasst, und eigener Bindung, wie sie Beethoven zwischen 1809 und 1822 benutzte. Eine einheitliche Vorgehensweise bei der Bindung ist nicht zu erkennen. Grundsätzlich waren hier deutlich weniger Stiche nötig, um die Blätter zusammenzuhalten. Es finden sich aber auch Bücher, die ähnlich einer professionellen Bindung mit mehreren Stichen nahe am Falz gebunden wurden. Mögliche spätere Bindungen sind durch diese fehlende Einheitlichkeit schwerer zu identifizieren.

3) Besonders schwierig zu rekonstruieren sind Skizzenbücher mit unregelmäßigem Aufbau, bestehend aus unterschiedlich großen Lagen, einzelnen Doppelblättern und Einzelblättern und eigener Bindung, wie sie Beethoven zwischen 1800 und 1825 benutzte. Dieser Typ zeichnet sich durch die Heterogenität der verwendeten Blätter aus, weil Beethoven teilweise auch Seitenreste verwendete. Sie ist schwer von den Sammlungen einzelner Blätter zu unterscheiden, die Beethoven erst nach der Beschriftung zusammenband, und es ist schwieriger zu erkennen, ob noch während des Schreibprozesses Blätter hinzugefügt wurden. Zusammengehalten wurde das Buch durch eine einfache Fadenheftung mit mehreren Stichen an den Rändern, die aufgrund ihrer Beschaffenheit meist nicht lange hielt. Die Spuren der Stichlöcher geben hier Hinweise auf die ursprüngliche Zusammensetzung des Skizzenbuches, für die eine alleinige Betrachtung der Papiersorten, der Lagenordnung oder des Textes in die Irre führen würde.

Auch hier gilt für alle genannten Skizzenbuchtypen, dass neben dem Vergleich der Stichlöcher Beobachtungen zu Textzusammenhängen, Lagenordnung, Papiersorten, Tintenflecken, Schnittkanten, Rastrierung etc. unerlässlich sind, um den ursprünglichen Zustand rekonstruieren zu können. Bei Skizzenbüchern mit eigener Bindung ist grundsätzlich mit Fehlstichen zu rechnen, die nicht für die Fäden verwendet wurden. Dies sowie das Vorhandensein von späteren Bindungen oder von Beethoven nachträglich eingefügten Blättern erschweren die Interpretation.

LR
Version 1.1.0


Johnson, Douglas, Alan Tyson, Robert Winter: The Beethoven Sketchbooks. History, Reconstruction, Inventory, hg. von Douglas Johnson, Oxford 1985, S. 48f., S. 59–61.