Zum Notirungsbuch K

Gegenstand des 4. Moduls von Beethovens Werkstatt ist eine digitale Edition des sogenannten „Notirungsbuchs K“, eines Skizzenbuchs, das Beethoven im Frühjahr 1823 (ca. Ende Januar bis April/Mai) benutzte. Das Buch enthält späte Skizzen zu den Diabelli-Variationen op. 120 (zu Nr. 15, 26, 32 und 33), ein dreiseitiges Revisionsverzeichnis zu Op. 120, das bereits in Modul 3 untersucht wurde, und eine vollständige Niederschrift des Themas der Variationen. Der Großteil der im Buch enthaltenen Skizzen gehört zur 9. Symphonie op. 125. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Skizzen zum 1. Satz, neben vereinzelten Ideen für die anderen Sätze. Die Anzahl der Skizzen für andere Werke (Streichquartette, Bagatellen) ist sehr gering.
In der VideApp_sk wird das Notirungsbuch K in rekonstruierter Form wiedergegeben, d. h. in der Form, die es hatte, als Beethoven es benutzte. Zu dieser Zeit bestand es aus 44 Blättern. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das ursprüngliche Skizzenbuch aufgeteilt. Die einzelnen Teile befinden sich heute in verschiedenen Sammlungen und Bibliotheken.
Quellen, die ursprünglich das Skizzenbuch bildeten:

Benennungvollständige Quellenangabe
Engelmann-SkizzenbuchD-BNba, Sammlung H. C. Bodmer, HCB Mh 60
D-BNba, BSk 21/69D-BNba, Sammlung H. C. Bodmer, HCB BSk 21/69
D-B, Grasnick 20bD-B, Mus. ms. autogr. Beethoven, L. v., Grasnick 20b, fol. 20
F-Pn, Fonds français 12.756, fol. 194/193 bisF-Pn, Fonds français 12.756, fol. 194/193 bis
F-Pn, Ms. 96F-Pn, Ms. 96
Landsberg 8/1D-B, Mus. ms. autogr. Beethoven, L. v., Landsberg 8, Faszikel 1
F-Pn, Ms. 57/2F-Pn, Ms. 57/2

Zum Namen „Notirungsbuch K“

Das im 4. Modul zu edierende Skizzenbuch wurde bei der Versteigerung von Beethovens Nachlass am 5. November 1827 von dem Wiener Musikverleger und Kunsthändler Domenico Artaria erworben. In der Zeit zwischen der Auktion und vor dem 19. Mai 1835 (als das erste Buch aus der Artaria-Sammlung nachweislich abgegeben wurde) wurden die von Artaria ersteigerten Skizzenbücher von einem seiner Angestellten, Anton Gräffer, geordnet und klassifiziert.[1] Dabei erhielt das Skizzenbuch den Ordnungsbuchstaben „K“. Es wurde mit einem grauen Umschlag versehen, der die Aufschrift „Notirungsbuch K“ trägt und die Anzahl der Blätter des Buchs (39) vermerkt.[2] Der Ordnungsbuchstabe wurde zudem oben rechts auf der ersten Seite des Skizzenbuchs notiert. Zur Zeit der Klassifizierung (1835) umfasste das Notirungsbuch K also 39 Blätter. Das bedeutet, dass noch vor der Klassifikation 5 Blätter daraus entfernt worden waren, denn das Buch bestand, als Beethoven es benutzte, aus 44 Blättern. Bei den entfernten Blättern handelt es sich laut Johnson, Tyson und Winter um D-BNba, BSk 21/69, D-B, Grasnick 20b, fol. 20r, F-Pn, Ms. 57/2 und die beiden verschollenen Blätter (A und B).[3]
Das im 4. Modul rekonstruierte Skizzenbuch, das den mutmaßlichen Zustand des Buchs zur Zeit seiner Nutzung durch Beethoven wiedergibt, nennen wir zwar „Notirungsbuch K“, tatsächlich umfasste das Notirungsbuch K zur Zeit der Artaria-Klassifikation aber 5 Blätter weniger (D-BNba, BSk 21/69, D-B, Grasnick 20b, fol. 20r, F-Pn, Ms. 57/2, A und B).

Zur Rekonstruktion des ursprünglichen Umfangs des Skizzenbuchs

Der ursprüngliche Umfang des Skizzenbuchs zu der Zeit, als Beethoven es benutzte, betrug laut der Rekonstruktion Sieghard Brandenburgs 44 Blätter. Davon sind zwei Blätter verschollen (A und B, siehe Abb. 1 zur Lagenstruktur).[4] Brandenburg vermutet, dass eine weitere Lage zwischen Ms. 96, S. 8 und S. 9 von Landsberg 8/1 (C, D, E, F) existiert haben könnte.[5] In diesem Fall hätte das Buch einen Umfang von 48 Blättern gehabt. Johnson, Tyson und Winter zufolge ist die Anzahl der Lagen in Skizzenbüchern der Art des Notirungsbuchs K (d. h. in Büchern mit regelmäßiger Lagenstruktur und nicht professioneller Bindung, die wahrscheinlich von Beethoven selbst hergestellt wurden) willkürlich. 48 Blätter kommen normalerweise in Büchern mit regelmäßiger Lagenstruktur und professioneller Bindung vor, die Beethoven nur von 1798­ bis 1808 nutzte.[6] Eine zusätzliche, mutmaßlich vorhandene Papierlage ist nicht zwingend zu begründen. Mehrere Indizien sprechen dagegen, dass diese Lage existierte. Die Faltungen in den unteren Ecken von Ms. 96, S. 8 und Landsberg 8/1, S. 9 sind ein Indiz: Wahrscheinlich knickte Beethoven die Ecken dieser Seiten gemeinsam um, als er das Buch benutzte, um die hintereinander liegenden Seiten zu markieren. Auch die ähnlichen Schreibmittel auf den Seiten sind ein Hinweis darauf, dass die beiden Seiten ursprünglich einander gegenüberlagen und sich dazwischen keine weitere Lage befand. Wir folgen deshalb der von Johnson, Tyson und Winter vorgeschlagenen Rekonstruktion ohne die von Brandenburg angenommene, zusätzliche Lage (C, D, E, F).[7]
In unserer digitalen Rekonstruktion besteht das Skizzenbuch somit aus 44 überlieferten und an verschiedenen Orten aufbewahrten Blättern (abzüglich der beiden verschollenen Blätter). Zur Adressierung der Seiten in der digitalen Edition haben wir eine Seitenzählung eingeführt (von 1 bis 84), die dem ursprünglichen Zustand des Skizzenbuchs zur Zeit seines Gebrauchs durch Beethoven folgt. Zusätzlich wird für jede Seite auch der Aufbewahrungsort, die Signatur und die Seitenzahl der jeweiligen Quelle angezeigt.

Lagenstruktur

Abb. 1, aus: Brandenburg, Skizzen zur Neunten Symphonie, S. 118f.

Aufbewahrungsorte der einzelnen Teile des Skizzenbuchs

Das Notirungsbuch K wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts in drei größere Einheiten aufgeteilt, außerdem wurden einzelne Blätter entfernt. Der erste Teil mit einem Umfang von aktuell 19 Blättern, befindet sich unter dem Namen „Engelmann-Skizzenbuch“ im Beethoven-Haus, Bonn. Die ursprünglich daran anschließende Papierlage, bestehend aus 4 Blättern, liegt heute unter der Signatur „Ms. 96“ in der Bibliothèque nationale de France, Paris. Der zweite größere Teil, bestehend aus 15 Blättern, ist heute im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin und unter dem Namen „Landsberg 8/1“ bekannt.

Aus dem ersten Teil, dem Engelmann-Skizzenbuch, wurden 5 Blätter entfernt:
Aus der zweiten Lage:
1. D-BNba, BSk 21/69
2. D-B, Grasnick 20b, fol. 20r
Aus der sechsten Lage:
3. A (verschollen)
4. B (verschollen)
5. F-Pn, Fonds français 12.756, fol. 194/193 bis

Aus Landsberg 8/1 wurde ein Blatt (aus der zehnten Lage) entfernt: F-Pn, Ms. 57/2.
Der ursprüngliche Umfang von 44 Blättern ergibt sich somit wie folgt: Engelmann (19+5=24 Blätter) + Ms. 96 (4 Blätter) + Landsberg 8/1 (15+1=16 Blätter) = 44 Blätter
Die 44 Blätter entsprechen 88 Seiten, davon sind 7 Seiten leer und 4 verschollen. Untersucht und ediert werden also 77 beschriebene Seiten.

Abb. 2: Zustand des Notirungsbuchs K zur Zeit der Nutzung durch Beethoven (Abb. erstellt von Richard Sänger)

Überblick über die Aufteilung des ursprünglichen Skizzenbuchs

Vor der Klassifizierung wurden, wie bereits erwähnt, 5 Blätter aus dem Buch entfernt (4 davon aus dem Engelmann-Skizzenbuch und ein Blatt aus Landsberg 8/1). Am 19. Mai 1835 schenkte August Artaria (1807–1893) die ersten 20 Blätter des Buchs (dies entspricht dem heutigen Engelmann-Skizzenbuch + dem Blatt F-Pn, Fonds français 12.756, fol. 194/193 bis) dem Violinisten Alexandre Joseph Artôt (1815–1845) und dem Sänger und Pianisten L’Huillier. Dies ist durch Artarias Aufschrift auf dem heute noch vorhandenen Umschlag bezeugt. Die übrigen 19 Blätter des Notirungsbuchs K verblieben zunächst in Artarias Besitz.
Nach Artôt war der nächste Besitzer des Engelmann-Skizzenbuchs ab 1845 der Baron de Trémont (1779–1852). „Er fügte dem Skizzenbuch den noch heute vorhandenen ledernen Einband hinzu, wie auch ein von ihm selbst beschriebenes Blatt, auf dem er den Umfang (37 beschriebene Seiten) und Angaben zur Herkunft des Buchs festhielt. Zudem band er vor der ersten Seite ein Beethoven-Portrait mit ein. Er versah das Buch mit Seitenzahlen und entfernte 1848 das letzte Blatt (F-Pn, Fonds français 12.756, fol. 194/193 bis), das er seinen autobiographischen Aufzeichnungen hinzufügte.“[8] Nach Trémonts Tod im Jahr 1852 gehörte das Buch, das zu diesem Zeitpunkt aus den auch heute noch vorhandenen 19 Blättern bestand, einem heute unbekannten Besitzer und später bis 1895 Johan van Riemsdijk (1842–1895). Nach dessen Tod ging es in den Besitz von Theodor Wilhelm Engelmann (1843–1909) über, nach dem es heute benannt ist. Nach Engelmanns Tod im Jahre 1909 gehörte es seiner Frau Emma Engelmann und befand sich bis 1919 im Besitz der Familie.[9] Später gehörte es dem Beethoven-Sammler Hans Conrad Bodmer (1891–1956), dessen Sammlung 1956 an das Beethoven-Haus überging.
Der andere große Teil des Notirungsbuchs K, der heute als Landsberg 8/1 bekannt ist und aus 15 Blättern besteht, wurde vor 1844 von Artaria an Ludwig Landsberg (1807–1858) verkauft.[10] Die Königliche Bibliothek Berlin (heute Staatsbibliothek) erwarb den Großteil von Landsbergs Sammlung, darunter seine Beethoven-Manuskripte, im Jahre 1861.[11] Eine der vier Papierlagen von Landsberg 8/1, die Seiten 1–8, liegt heute an der falschen Stelle: Diese Lage gehört gemäß Rekonstruktion an das Ende des Skizzenbuchs, d. h. nach S. 30.[12]
Neben dem heutigen „Landsberg 8/1“ erwarb Ludwig Landsberg auch das von Beethoven im Anschluss an das Notirungsbuch K verwendete Skizzenbuch (laut Artaria-Klassifikation „Notirungsbuch O“), das sich heute ebenfalls in der Berliner Staatsbibliothek befindet. Die beiden Bücher wurden zusammengebunden und werden heute als „Landsberg 8, Faszikel 1 und 2“ aufbewahrt, obwohl sie ursprünglich nicht zusammengehörten.
Der dritte, ursprünglich zum Notirungsbuch K gehörende Teil besteht aus 4 Blättern: F-Pn, Ms. 96. Diese Blätter sind nach dem Engelmann-Skizzenbuch und vor Landsberg 8/1 (S. 9) einzuordnen. Sie verblieben wohl am längsten bei Artaria: Er verkaufte die heute unter der Signatur Ms. 96 aufbewahrten Blätter im Jahre 1875 als Teil einer Sammlung verschiedener loser Blätter, zu der auch das Blatt Ms. 57/2 gehörte (das zwischen S. 20 und 21 von Landsberg 8/1 einzuschieben ist und das bereits vor der Artaria-Klassifikation aus dem Notirungsbuch K entfernt worden war), an Johann Kafka (1819–1886). Von Kafka gingen diese Blätter 1881 an Charles Malherbe (1853–1911) über, der sie der Bibliothèque nationale vermachte.[13]

Abb. 3: Übersicht über die Zerteilung des Notirungsbuchs K (Abb. erstellt von Richard Sänger)

Literatur

Susanne Cox


Anmerkungen

[1] Vgl. JTW, S. 20.

[2] Der Umschlag wird heute separat aufbewahrt: D-B, Mus. ms. autogr. Beethoven, L. v., Artaria 200.

[3] Vgl. JTW, S. 280.

[4] Da das Notirungsbuch K eine regelmäßige Lagenstruktur hatte, kann man aufgrund der umgebenden Blätter verschiedene Eigenschaften benennen, die das verschollene Doppelblatt aufgewiesen hat: Bei der Papiersorte des Doppelblattes handelte es sich um Kiesling-Papier vom Typ 43 (s. JTW, S. 558), das mit 16 Notensystemen rastriert war und eine Spannweite von 197 mm hatte. Das Doppelblatt umfasste die Quadranten 4b und 1b. Die Verteilung der Stichlöcher dürfte den Angaben in JTW, auf S. 283 entsprochen haben.

[5] Vgl. Brandenburg, Skizzen zur Neunten Symphonie, S. 118.

[6] Vgl. JTW, S. 48.

[7] Vgl. JTW, S. 291.

[8] Cox, Das Skizzenbuch „Engelmann“, S. 41.

[9] Vgl. Brandenburg, Skizzen zur Neunten Symphonie, S. 115.

[10] Vgl. JTW, S. 286.

[11] Vgl. JTW, S. 31.

[12] Vgl. JTW, S. 287.

[13] Vgl. JTW, S. 287.