Diabelli-Variationen op. 120

Datierung/Entstehung

Beethoven schrieb seine 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli, die sog. Diabelli-Variationen, in Folge einer Anfrage: Anfang 1819 schickte der Wiener Verleger Anton Diabelli einen von ihm selbst komponierten Walzer an 50, im k. k. Österreich lebende Komponisten, darunter Beethoven, mit der Bitte, jeweils eine Variation über dieses Walzer-Thema zu schreiben.[1] Diabelli wollte diese 50 Variationen verschiedener Komponisten über seinen Walzer als Sammelband veröffentlichen. Beethoven schrieb jedoch anstelle einer einzigen Variation einen Zyklus von 33 Variationen. Das Werk wurde im Juni 1823 als Op. 120 bei Cappi und Diabelli veröffentlicht.[2]

Skizzen

Beethoven begann mit der Arbeit an den Diabelli-Variationen im Jahr 1819 und vollendete das Werk 1823. Im Frühjahr 1819 skizzierte er 23 Variationen (von denen eine nicht ins Werk übernommen wurde). Dann unterbrach er die Skizzierung, um sich anderen Werken, wie z. B. der Missa solemnis, zu widmen. Im Herbst 1822 nahm er die Arbeit wieder auf und skizzierte bis März 1823 elf weitere Variationen.[3]

Autograph (Werkniederschrift)

Beethoven war mit der Ausarbeitung und Niederschrift des Werkes bis Ende März/Anfang April 1823 beschäftigt, was man aus verschiedenen Konversationsheft-Einträgen schließen kann.[4] Das Autograph selbst (D-BNba, NE 294) ist undatiert.

Erste überprüfte Abschrift: Londoner Abschrift

Zwischen Mitte und Ende April 1823[5] wurde vom Autograph eine Abschrift (D-BNba, HCB Mh 55) hergestellt.[6] Diese Abschrift war für eine zweite Ausgabe der Variationen bestimmt, die in London im Verlag Boosey erscheinen sollte. Ferdinand Ries sollte sich dort um die Veröffentlichung kümmern. Beethoven las diese Abschrift Korrektur. Sie wurde wahrscheinlich am 1. oder 2. Mai zum Versand nach London bei Anton Wocher abgegeben.[7] Beethovens Werkniederschrift diente dem Verleger Diabelli zunächst als Stichvorlage für seine Ausgabe.

Revisionsverzeichnis

Beim Korrekturlesen und Überarbeiten der Londoner Abschrift lag Beethoven seine Werkniederschrift nicht zum Abgleich vor, da sie sich als Stichvorlage bei Diabelli befand. Deshalb legte Beethoven ein Revisionsverzeichnis in einem Skizzenbuch, dem sog. Engelmann-Skizzenbuch, an, in dem er die Fehlerkorrekturen und Änderungen, die er an der Abschrift vornahm, festhielt. So konnte er die Änderungen später in seiner Werkniederschrift nachtragen.
Kurz nach dem 24. April schrieb Beethoven in einem Brief an Schindler, dass er die Werkniederschrift der Variationen von Diabelli für einige Stunden abends zurückbenötigte.[8] Wahrscheinlich wollte er die im Revisionsverzeichnis festgehaltenen Änderungen in die Werkniederschrift übernehmen, um diese, die ja Stichvorlage für Diabellis Ausgabe war, auf den neuesten Stand zu bringen. Beethoven hat das Manuskript wohl erhalten, denn er setzte darin Einträge aus dem im Engelmann-Skizzenbuch angelegten Verzeichnis mit roter oder brauner Tinte um: Die Stellen sind in der Originalausgabe korrekt.

Zweite überprüfte Abschrift: Rampl-Abschrift

Mitte Mai[9] fertigte der Kopist Wenzel Rampl eine zweite Abschrift von der nunmehr aktualisierten Werkniederschrift an. Sie ist nicht überliefert. Zuvor hatte der Verleger Diabelli Besitzansprüche auf die autographe Werkniederschrift erhoben. Deshalb hatte Schindler vorgeschlagen, dass Rampl eine Abschrift für Diabelli anfertigen könnte, die diesem anstelle des Autographs als weitere Stichvorlage dienen sollte. Das Autograph konnte so in Beethovens Besitz verbleiben.[10] Die Variationen 1 bis 12 waren bereits gestochen, weshalb Rampl bei der Abschrift mit Variation 13 anfing, damit für Diabellis Druck keine große Verzögerung entstand. Die Variationen 1 bis 12 sollte Rampl erst danach kopieren.[11]

Überarbeitung des Revisionsverzeichnisses

Bis zum 18./19. Mai überprüfte Beethoven einerseits Probeabzüge der Variationen 1–12 (sie sind nicht überliefert) und andererseits die vom Kopisten Rampl hergestellte Abschrift der Variationen 13–33.[12] Dabei kam er auf das Revisionsverzeichnis im Engelmann-Skizzenbuch zurück und überarbeitete es: Er nahm die in Zusammenhang mit der Korrekturlesung (der Abschrift und der Probedrucke) vorgenommenen neuen Änderungen, die er auch zusätzlich noch in die Werkniederschrift eingetragen hatte, in das Verzeichnis auf und brachte es somit auf einen aktuellen Stand. Er nahm im Verzeichnis Änderungen an den dort schon vorliegenden Einträgen vor, fügte neue Eintragungen hinzu und strich Monita, die nicht mehr aktuell waren, mit roter Tinte aus. Manche der überarbeiteten Einträge kennzeichnete er mit dem Zusatz „london“ in roter Tinte. Durch diese Markierungen konnte er die Änderungen später in der Londoner Abschrift nachtragen, die zwar schon für den Versand abgegeben, aber noch nicht nach England abgeschickt worden war.

Originalausgabe

Am 16. Juni 1823 wurde das Erscheinen der Originalausgabe in der Wiener Zeitung angezeigt, Titelblatt: „33 Veränderungen über einen Walzer für das Piano-Forte […] Wien bey Cappi u: Diabelli, Graben No 1133. Leipzig bey C. F. Peters.“.

Überarbeitung der Londoner Abschrift

Kurz nach dem 25. Juni 1823 war die Londoner Abschrift immer noch nicht nach England abgeschickt worden: Beethoven bat Schindler darum, ihm die Abschrift über die Haushälterin zukommen zu lassen.[13] Er hoffte, eine andere Gelegenheit zur Versendung zu finden. Da die neuen Änderungen, die Beethoven im Revisionsverzeichnis des Engelmann-Skizzenbuchs vorgenommen hatte, in der Londoner Abschrift von ihm selbst fast sämtlich umgesetzt worden sind, muss er die Abschrift, bevor sie abgeschickt wurde, noch einmal zurückbekommen haben. Der Versand nach London erfolgte Anfang Juli.[14] Da die Abschrift jedoch zu spät in London eintraf – die Wiener Ausgabe war schon erschienen und in London zu erwerben – kam eine englische Parallel-Veröffentlichung nicht zustande.

Ausgangs- und Zieldokument

Beethoven benutzte das Revisionsverzeichnis in zwei Arbeitsphasen. Ausgangs- und Zieldokument unterscheiden sich je nach Arbeitsphase.

1. Arbeitsphase

In der ersten Arbeitsphase (Ende April 1823) legte Beethoven das Verzeichnis an: Er überprüfte die Londoner Abschrift und hielt im Skizzenbuch die Änderungen, die er an ihr vornahm, fest. Diese Änderungen sollten später in der Werkniederschrift umgesetzt werden, die ihm zu dieser Zeit nicht zur Verfügung stand (sie befand sich als Stichvorlage beim Verleger Diabelli).
Das Ausgangsdokument ist somit in der ersten Arbeitsphase die Londoner Abschrift. Das Zieldokument ist in diesem Fall die Werkniederschrift: In ihr sollten die Änderungen (Monita), die Beethoven im Revisionsverzeichnis festgehalten hat, vorgenommen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt, als ihm das Manuskript wieder zur Verfügung stand, setzte Beethoven darin viele der Monita um.

2. Arbeitsphase

In der zweiten Arbeitsphase überarbeitete Beethoven das Revisionsverzeichnis: Mitte Mai 1823 las er die Probedrucke der Variationen 1–12 und die von Rampl hergestellte Abschrift der Variationen 13–33 mit der Werkniederschrift Korrektur. Dabei glich er auch das Revisionsverzeichnis im Skizzenbuch mit den anderen Quellen (Werkniederschrift, Rampl-Abschrift und Probedrucke) ab und überarbeitete es: Er strich oder änderte einzelne Monita und versah manche mit dem Wort „london“. Zudem nahm er zwei neue Monita auf. Er beabsichtigte wohl, die neuen Änderungen später in der Londoner Abschrift, die zu dieser Zeit schon zum Versand nach London hinterlegt und deshalb nicht sofort zugänglich war, umzusetzen.
Das Ausgangsdokument ist somit in der zweiten Arbeitsphase die Werkniederschrift (welche die in den nicht erhaltenen Probedrucken und in der verschollenen der Rampl-Abschrift mutmaßlich vorhandenen Änderungen widerspiegelt). Das Zieldokument ist in diesem Fall die Londoner Abschrift, auf die Beethoven zu diesem Zeitpunkt nicht zugreifen konnte. In ihr sollten die neuen Änderungen umgesetzt werden. Dies tat Beethoven zu einem späteren Zeitpunkt auch, als ihm das Manuskript wieder zur Verfügung stand (Ende Juni 1823).

Revisionsdokument

Das Revisionsdokument ist eine Sammlung von 69 Monita, die sich im Engelmann-Skizzenbuch (S. 16–18) befinden. Hinzu kommt ein weiteres Monitum auf S. 33 des Skizzenbuchs.[15] Die Anordnung der Monita auf den Seiten entspricht weitgehend der numerischen Abfolge der Variationen; sie wird aber an einigen Stellen unterbrochen (z. B. auf S. 16: Die Seite enthält Monita bis Variation 16, zwischen denen sich mehrere Einträge zu Variation 32 befinden). Am Ende (S. 18 unten) scheint Beethoven nach Variation 33 noch einmal auf frühere, schon zuvor betrachtete Variationen zurückgekommen zu sein, weil hier Monita zu den Variationen 9, 4, 5, 21 und 26 folgen. Die beiden zu einem späteren Zeitpunkt, d. h. erst in der zweiten Arbeitsphase, hinzugefügten Monita, die sich auf Änderungen in den Variationen 12 und 14 beziehen, notierte Beethoven inhaltlich passend auf S. 16 unten nach einem Monitum zu Variation 12.[16]
Das Revisionsdokument enthält sowohl Fehlerkorrekturen als auch Varianten (z. B. Tonänderungen, Hinzufügung oder Streichung von Takten und die sekundäre Notation betreffende Varianten). Hinzu kommen Maßnahmen zur Textpräzisierung (z. B. Fingersätze) und schriftbildliche Verbesserungen (wie Warnungsakzidenzien, Angaben zum Notenuntersatz).
Die einzelnen Monita bestehen meist aus einer Ortsangabe (Nummer der fraglichen Variation), dem Kontextzitat und dem Änderungsimperativ. Gegebenenfalls kommt eine Erläuterung der Änderungsmaßnahme hinzu. Beethoven hat das Dokument nur für seinen eigenen Gebrauch angefertigt und es deshalb innerhalb eines Skizzenbuchs angelegt: Er versuchte damit seine Revisionsarbeit an vier Werkdokumenten (autographe Werkniederschrift, Londoner Abschrift, Abschrift des Kopisten Rampl, Probedrucke) zu koordinieren. Das verschiedene Stadien durchlaufende Revisionsverzeichnis diente ihm dazu, den für die Wiener Druckveröffentlichung bestimmten Werktext von Op. 120 festzulegen. Zudem versuchte er damit, eine ebenso präzise Londoner Parallelausgabe sicherzustellen (die aber nicht zustande kam) und die definitive Fassung zugleich in der autographen Werkniederschrift zu archivieren. Dazu musste Beethoven die verschiedenen Quellen, die ihm nicht immer zur gleichen Zeit zur Verfügung standen, untereinander abgleichen. Er versuchte den Überblick über die Änderungen behalten, die er in verschiedenen Manuskripten zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorgenommen hatte. Er benötigte dazu das Verzeichnis, weil immer eine der Handschriften nicht greifbar war: Als Beethoven das Revisionsdokument anlegte, konnte er nicht auf das Autograph zugreifen. Die Änderungen, die er in der Abschrift vorgenommen hatte, sollten dort aber noch umgesetzt werden. In dieser Zeit entstand der Großteil der Eintragungen. Zu einem späteren Zeitpunkt, als Beethoven keinen Zugriff mehr auf die Londoner Abschrift hatte, nahm er weitere Änderungen am Werk vor. Diese sollten auch in der Abschrift umgesetzt werden, weshalb er wieder auf das Verzeichnis im Skizzenbuch zurückkam und dieses veränderte und ergänzte. Um die neuen Änderungen direkt erkennbar zu machen, nahm Beethoven diese Überarbeitung größtenteils mit roter Tinte vor. Manche Monita versah er mit dem Wort „london“ in roter Tinte, weil die Änderungen später in die für London bestimmte Abschrift überführt werden sollten.[17]

Das Revisionsverzeichnis im Engelmann-Skizzenbuch weist typische Merkmale eines privaten, selbstadressierten Revisionsdokuments auf. Dazu gehört die Reihenfolge, in der die Monita stehen: Beethoven bemühte sich nicht darum, sie der Werkchronologie entsprechend anzuordnen. Zudem unterscheidet sich die Erscheinungsform der Monita von der in Revisionsdokumenten, die an einen fremden Leser gerichtet sind. Beethoven gab den Textort sehr unpräzise an – in der Regel reichte ihm die Nennung der Nummer der Variation, in der die entsprechende Änderung vorgenommen werden sollte (z. B. „Var: 3“). Oft nutzte er auch die Abkürzung „e.d.s“ (= „ebendaselbst“), wenn es um dieselbe Variation geht wie im vorangegangenen Monitum. Manchmal fehlt auch jegliche Ortsangabe.
Beethovens Kontextzitate sind meist unvollständig, d. h. gekürzt: Er beschränkte sich auf das, was notwendig war, um seine intendierten Änderungsmaßnahmen später wieder verstehen und zuordnen zu können. So fehlen in den Kontextzitaten oft Teile der sekundären Notation (Dynamik- und Artikulationsangaben) oder auch Vorzeichen. Notenschlüssel sind nur selten vorhanden. Manche Kontextzitate sind auch vom Umfang her unvollständig: In einem Monitum zu Variation 19 beispielsweise soll ein Legatobogen zu T. 24–28 hinzugefügt werden. In seinem Kontextzitat hielt Beethoven aber nur die Takte 24 und 25 fest und erläuterte die Änderung mit den Worten: „hat den Bogen über alle 8tel“ (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Monitum zu Variation 19, T. 24–28 (Engelmann-Skizzenbuch, S. 17, Z. 6)

Einem außenstehenden Leser wäre es mit diesen Angaben nur schwer möglich zu verstehen, dass der Bogen bis T. 28 reichen soll. Ein anderes Beispiel für eine sehr verkürzt festgehaltene Änderungsmaßnahme ist das Monitum zu T. 5 von Variation 17 (siehe Abb. 2):

Abb. 2: Monitum zu Variation 17, T. 5 (Engelmann-Skizzenbuch, S. 17, Z. 5)

Für einen fremden Leser dürfte die beabsichtigte Änderung (Ersetzung einer Viertelnote durch ein punktiertes Achtel mit 16tel auf Zählzeit 4 von Variation 17, T. 5, unteres System) schwer verständlich sein, weil Beethoven nur den Änderungsimperativ und kein Kontextzitat notierte und die Angabe der Stelle, an der die Änderung vorgenommen werden sollte, mit „Var: 17“ sehr ungenau ist.
Beethovens Wortwahl in verschiedenen Monita zeigt, dass es sich um Anmerkungen handelt, die an ihn selbst gerichtet sind. Beispiele hierfür sind das Monitum zu Variation 12, T. 12–14 mit der Anmerkung „eben[so] in Var 12 im Manuscript nach London nachzusehn.“ (Engelmann-Skizzenbuch, S. 16, Z. 14/15) und das Monitum zum Notenuntersatz von Variation 14: „Ries anzuzeigen wegen dem geraden aufeinander sezen der Noten“ (Engelmann-Skizzenbuch, S. 16, unter Z. 16).
In den an einen fremden Leser gerichteten Revisionslisten nutzte Beethoven oft Marginalzeichen, um das zu ändernde Textelement hervorzuheben. Im vorliegenden Revisionsdokument verwendete er keine Marginalzeichen. Zudem sind seine Erläuterungen zum Änderungsimperativ meist kurz oder fehlen sogar ganz. Bei Monita ohne Erläuterung (z. B. Monitum zu Variation 6, T. 3f., siehe VideApp_rev) ist es ohne den Vergleich mit der Londoner Abschrift und dem Autograph schwierig bzw. unmöglich zu verstehen, worin die Änderung bestehen sollte.
Eine weitere Besonderheit dieses selbstadressierten Dokuments besteht darin, dass Beethoven seinen eigenen Vorgaben nicht immer folgte und die Änderungen im Zieldokument nicht alle umsetzte. Stattdessen hat er sich manchmal umentschieden – d. h. zuvor beabsichtigte Änderungen wieder zurückgenommen oder andere, weitergehende Änderungen vorgenommen (z. B. Monitum zu Variation 26, T. 16, siehe VideApp_rev). Eine solche Vorgehensweise ist nur bei selbstadressierten Revisionsdokumenten möglich, weil Beethoven die Änderungen hier selbst umsetzen konnte. Fremdadressierte Dokumente wurden dagegen an eine andere Person übergeben, welche die Änderungen ausführen sollte.

Revisionsrichtungen:

Abb. 3: Revisionsrichtungen

Erläuterungen zu den Schaubildern mit Revisionsrichtungen:

(Die Nummerierung der Monita bezieht sich auf Cox, Das Skizzenbuch „Engelmann“, Online-Anhang, S. 41–130. Abb. 3 erstellt von Richard Sänger.)

Zur digitalen Darstellung

Die vorliegende Darstellung beschränkt sich auf das Revisionsverzeichnis im Engelmann-Skizzenbuch. In der komparativen Ansicht werden einzelne Monita des Verzeichnisses in Bezug zu den entsprechenden Takten im jeweiligen Ausgangs- und Zieldokument gesetzt. Es wird nicht untersucht, wie sich die Textstellen ggf. bis zur Originalausgabe weiterentwickelten und welche weiteren Änderungen vorgenommen wurden. Der gesamte, äußerst komplizierte Revisionsprozess von Op. 120 bis hin zur Drucklegung der Variationen, der sich u. a. in weiteren Eintragungen Beethovens im Autograph mit roter Tinte niederschlägt, wird nicht weiterverfolgt, da dies auch Gegenstand des 5. Moduls von Beethovens Werkstatt sein wird. In der VideApp_rev werden 15 Monita des Revisionsdokuments exemplarisch behandelt. Erläuterungen zu allen Monita finden sich in: Cox, Das Skizzenbuch „Engelmann“, Online-Anhang, S. 41–130.

Da es sich beim Revisionsverzeichnis zu Op. 120 um ein privates Revisionsdokument handelt und weil sowohl das Ausgangs- als auch das Zieldokument eine Handschrift ist, gibt es hier im Vergleich zu den anderen im 3. Modul betrachteten Beispielen einige Besonderheiten:

1) Beethoven setzte die im Revisionsdokument festgehaltenen Änderungen in den meisten Fällen direkt im Ausgangsdokument um. Deshalb ist der ursprüngliche Textzustand im Ausgangsdokument häufig durch spätere Textschichten überlagert oder aufgrund von Rasuren nicht mehr erkennbar. In diesen Fällen muss der Ausgangstext rekonstruiert werden. Die Rekonstruktion erfolgt als Cleartext. Der tatsächlich im Ausgangsdokument vorhandene Text wird zum Vergleich in Form einer annotierten Transkription wiedergegeben.

2) Zudem hat Beethoven manche der im Revisionsdokument festgehaltenen Änderungen nicht im Zieldokument umgesetzt – vielleicht weil er einzelne Monita übersah oder seine Meinung änderte. Wenn eine Änderung nicht, anders oder unvollständig im Zieldokument umgesetzt worden ist, muss der beabsichtigte Zieltext konstituiert werden. Die Konstitution erfolgt durch die Kombination von Ausgangs- und Revisionstext und wird in Form eines Cleartextes wiedergegeben. Der tatsächlich im Zieldokument vorhandene, d. h. der erzielte Text ist davon zu unterscheiden und wird in Form einer annotierten Transkription wiedergegeben.

3) Wie oben beschrieben, hat Beethoven das Revisionsverzeichnis in einer zweiten Arbeitsphase überarbeitet. Dabei fügte er zwei Monita neu hinzu, strich mehrere Einträge aus und veränderte manche Monita. Wenn Beethoven ein Monitum in der zweiten Revisionsphase überarbeitet hat, wird dies in der komparativen Ansicht durch eine separate Darstellung der beiden Arbeitsphasen angezeigt.

Quellen

Literatur

Susanne Cox


Anmerkungen

[1] Die vorliegenden Untersuchungen zum Revisionsverzeichnis zu den Diabelli-Variationen basieren auf: Susanne Cox, Das Skizzenbuch „Engelmann“. Untersuchungen zu Skizzen Beethovens aus dem Frühjahr 1823, Paderborn 2022.

[2] Vgl. Bernhard R. Appel, Michael Ladenburger: Das Autograph der Diabelli-Variationen und die Überlieferungsgeschichte des Werkes, in: Ludwig van Beethoven. 33 Veränderungen C-Dur über einen Walzer von Anton Diabelli für Klavier op. 120. Teil 2: Faksimile der Originalausgabe (Widmungsexemplar) und Kommentare von Bernhard R. Appel, William Kinderman und Michael Ladenburger, Bonn 2010, S. 74–122, hier S. 74.

[3] Vgl. William Kinderman: Die Entstehung von Beethovens Diabelli-Variationen, in: Ludwig van Beethoven. 33 Veränderungen C-Dur über einen Walzer von Anton Diabelli für Klavier op. 120. Teil 2: Faksimile der Originalausgabe (Widmungsexemplar) und Kommentare von Bernhard R. Appel, William Kinderman und Michael Ladenburger, Bonn 2010, S. 46–72, hier S. 46f.

[4] BKh 3, S. 163 vom 6. April 1823: „hat Diab.[elli] schon die Variat.[ionen]“, S. 184 etwa vom 11. April: „wollen Sie mir Morgen früh die Variat.[ionen] schicken, oder soll ich sie abholen.“, S. 187 vom 12. April: „sind die Stiefel fertig für Diab.[elli] Morgen ist Sonntag er braucht sie um darin zu paradiren“ – mit „Stiefel“ ist wohl die Werkniederschrift gemeint: Beethoven hatte Diabellis Themenvorgabe als „Schusterfleck“ bezeichnet, aus dem nun mit seinen 33 Variationen ein „Paradestiefel“ geworden ist. S. 191 etwa vom 13. April: „Diabelli war bey dir und nachher bey mir, er läßt dich dringend bitten, bis Morgen die Variationen, […]“. Doch legt Schindlers Notiz vom 24./25. März – „gehen Sie Morgen selbst zu Diab.[elli] mit den Variat.[ionen]“ (BKh 3, S. 131) – nahe, dass die Partitur schon zu diesem Zeitpunkt fertig war.

[5] Die Werkniederschrift wurde wahrscheinlich um den 13. April zur Abschrift übergeben. Darauf lässt die folgende Aussage Beethovens in einem Brief an Schindler schließen, der um den 21. April verfasst wurde: „Sie könnten auch morgen den Schurken von Copisten überraschen, von dem ich mir nichts gutes verspreche, Seit heut 8 Täge hat er die Variationen“, BGA 1633. Die Abschrift war spätestens Ende April fertig: Beethoven datierte sie auf dem Titelblatt mit der Aufschrift „am 30ten April 1823“. Ein Konversationsheft-Eintrag Schindlers, vermutlich zu datieren auf Samstag, 26. April 1823, lässt darauf schließen, dass sie erst kurz vor dem oder am 30. April fertiggestellt wurde: „er sagt, daß er mit der Copie bis Mittwoch [30. April] heraus kom̅t, u das Manuscript mitbringt.“, BKh 3, S. 226.

[6] Tyson zufolge wurde das Werk von einem Mitarbeiter des Kopistenbüros Schlemmer (Kopist E) und von Wenzel Schlemmer selbst abgeschrieben. Vgl. Alan Tyson: Notes on Five of Beethoven’s Copyists, in: Journal of the American Musicological Society 23, Heft 3 (1970), S. 439–471, hier S. 460–463.

[7] Schindler, etwa vom 1./2. Mai: „nun werde ich das Paquet an Ries in Ordnung bringen u es in Gottes Nahmen dem H[errn] Wocher übergeben, ich bitte also um das Postscriptum.“, BKh 3, S. 247. Vgl. auch BGA 1679, FN 5, Bd. 5, S. 156: „Die Stichvorlage von op. 120 für eine geplante Londoner Ausgabe lag seit Anfang Mai 1823 für den Versand bereit, ging aber erst Anfang Juli durch Kurier nach England ab.“ und den Brief Beethovens an Schindler (kurz nach dem 17. Mai 1823): „Bey Wocher, den ich selbst sobald ich in die stadt komme besuche, meine schönste Emphelung u. ob die Var. schon fort sind?“, BGA 1650, FN 8, Bd. 5, S. 127: „Anton Wocher, Privatsekretär des Fürsten Paul Esterházy, vermittelte die Übersendung der Stichvorlage von op. 120 für eine geplante Londoner Ausgabe. Die Kopie lag seit Anfang Mai 1823 für den Versand bereit, […]“.

[8] „das Manuscript der Var.[iationen] brauchte ich nur einige Stunden abends, oder wie es di-[abelli] am gelegensten […]“, BGA 1634, Bd. 5, S. 110, datiert auf kurz nach dem 24. April 1823.

[9] Genauer, ab dem 12. Mai, vgl. den folgenden Konversationsheft-Eintrag. Schindler: „Sie dürfen nur die Güte haben, mir das Manus.[cript] für Rampl zu übergeben, oder ob er zu Ihnen oder zum Brud.[er] kom̅en soll zu schreiben.
er hat mich auch ersucht Sie zu bitten, damit er bald wieder weiter schreiben kann. Ich habe ihn dessen versichert, daß er Morgen, oder Mittwoch schon es erhält Rampl kann jeden Tag Ihnen überbringen, was fertig ist, u man gibt es dem Diab.[elli] eben so hin.
u da Sie es durchsehen werden, so ist es für Sie besser, wenn es nach u nach köm̅t. […]“, BKh 3, S. 283. Anhand der Konversationsheft-Einträge vom Samstag, den 12. April („sind die Stiefel fertig für Diab.[elli] Morgen ist Sonntag er braucht sie um darin zu paradiren“, BKh 3, S. 187) und vom Samstag, den 26. April („er sagt, daß er mit der Copie bis Mittwoch [30. April] heraus kom̅t, u das Manuscript mitbringt.“, BKh 3, S. 226) kann rekonstruiert werden, dass dieser Eintrag, in dem von „Morgen, oder Mittwoch“ die Rede ist, am Montag, den 12. Mai gemacht wurde.

[10] Vgl. BGA 1650, FN 5, Bd. 5, S. 127.

[11] Schindler: „wie wäre es denn, wenn Sie den Ramftl herein setzten u die Variat.[ionen] nochmahls copiren ließen, dann dürften Sie dem Diab.[elli] nicht mehr das Manusc[ript] geben. – er kann von der 13ten No anfangen, u die erstern schreibt er zuletzt, damit Diab.[elli] nicht aufgehalten werde.“, BKh 3, S. 282.

[12] Kurz nach dem 17. Mai schrieb Beethoven in einem Brief an Anton Schindler: „diabelli erhält hier das alte u. eine Portion Neues“. In der Brief-Gesamtausgabe wird dieser Satz erläutert: „Es handelt sich um von Beethoven korrigierte Probedrucke der Diabellischen Ausgabe von op. 120 sowie um Teile der von ihm durchgesehenen Stichvorlage Rampls.“, BGA 1650, FN 9, Bd. 5, S. 127.

[13] Vgl. BGA 1679, Bd. 5, S. 155.

[14] Schindler: „er [Ries] muß sie wenigstens schon 14 Tage haben die Variat.[ionen]
der Curir ging ungefähr in den 1ten Tägen d.[ieses] M.[onats] ab.“, BKh 3, S. 395.

[15] Sowohl die Position dieses Monitums im Skizzenbuch als auch sein Inhalt deuten darauf hin, dass es zu einem späteren Zeitpunkt notiert wurde als die Monita auf den Seiten 16–18. Da Beethoven in diesem Monitum eine Lesart aus der Originalausgabe aufgreift und es mit dem Wort „london“ versehen hat, schrieb er es wahrscheinlich nieder, nachdem die Londoner Abschrift nach England abgeschickt worden war, d. h. nach Anfang Juli 1823.

[16] Siehe die Erläuterungen zu diesen Monita in: Cox: Das Skizzenbuch „Engelmann“, Online-Anhang, S. 80–87.

[17] Vgl. Cox: Das Skizzenbuch „Engelmann“, S. 181–183.