Bundeslied op. 122 und Bearbeitung als Klavierauszug

Kurzinformation

Entstehungszeit

Mitte 1824 bis Juli 1825

Quellen

Zur Orchesterfassung

Zum Klavierauszug

Codierungsvorlagen

Entstehungsgeschichte

Die im Jahr 1825 veröffentlichte Vertonung von Goethes Bundeslied („In allen guten Stunden“, 1789) für zwei Solostimmen, Chor und Blasinstrumente (2 Clar in B, 2 Fg, 2 Cor in B) op. 122 gehört neben dem Opferlied op. 121b und Der Kuß op. 128 zu jenen Werken, die Beethoven seinem Bruder Johann überlassen hat, um damit seine Geldschulden vom Sommer/Herbst 1822 zu begleichen. Den Klavierauszug dazu fertigte Beethoven selbst an.

Mit Goethes Dichtung Bundeslied setzte sich Beethoven mehrmals kompositorisch auseinander. Anhand der Werkstattmaterialien lassen sich insgesamt drei Arbeitsphasen erkennen. 

(1) Eine Arbeitsphase ist durch ein Skizzenblatt (A-Wgm, A 64) belegt. Wasserzeichenuntersuchungen zeigen, dass das Papier im Jahr 1795 hergestellt worden ist. Auf der Rückseite finden sich ein unvollendeter Entwurf zum Minnelied von Ludwig Hölty (1748–1776) und die Acht Variationen (C-Dur) WoO 72, auf der Vorderseite die Skizzen zum Bundeslied. Zwei Datierungshypothesen wurden dazu entwickelt: Helga Lühning vermutet aufgrund der Wasserzeichen-Datierung, dass das Bundeslied womöglich wie viele andere Lieder von Beethoven schon in den 1790er Jahren ausgearbeitet worden sei.[1] Die Skizzen lassen sich nach Johnson anhand des Schriftduktus aber als jünger einstufen. Zudem findet sich auf dem Blatt die Aufschrift Beethovens „Titel / leichte / lieder / von Bürger / Klopstock / etc.“, die auf eine geplante Publikation mehrerer Lieder hindeutet. Raab, der die Hypothese von Johnson aufgreift und bekräftigt,[2] nimmt daher an, dass im Zusammenhang mit der Veröffentlichung einer Lieder-Sammlung das Minnelied fertiggestellt werden sollte und der freie Raum auf dem Blatt dann für Skizzen zum Bundeslied genutzt wurde. Er sieht daher keinen Grund, die Entstehung des Bundeslieds bereits in die 1790er Jahre zu verorten.[3] Das Werkverzeichnis spricht in Bezug auf diese Skizzen von einer Klavierlied-Fassung.[4]

(2) Eine vollständige Fassung („Preßburger Fassung“) des Lieds für Tenore solo, Basso solo, Basso tutti und Blasinstrumente (2 Clar in B, 2 Fg, 2 Cor in B) sowie ein entsprechender von Beethoven erstellter Klavierauszug entstanden vermutlich – wie auch Schindler berichtet[5] – anlässlich einer Akademie des Tenors Wilhelm Ehlers am 23. Dezember 1822 in Preßburg (heute: Bratislava). Das Bundeslied kam hier letztlich vermutlich nicht zur Aufführung (in der Konzertankündigung wurde das Lied nicht erwähnt), obwohl das Lied dafür komponiert wurde.[6] Die Preßburger Fassung ist nur durch eine Kopistenabschrift (A-Wgm, V 483/Q 2392) überliefert. Der unbekannte Kopist ist derselbe, der auch die Abschrift des Opferliedes vornahm. 

(3) Ab etwa Mitte 1824 arbeitet Beethoven das Bundeslied zur Fassung für Solostimmen, Chor (ohne genaue Stimmangaben, alle im Violinschlüssel notiert) und Blasinstrumente (2 Clar in B, 2 Fg, 2 Cor in B) um (D-Mbs, Mus. ms. 2760). Aus dieser Arbeitsphase sind auch verschiedene Skizzen überliefert (A-Wgm, A 50, S. 19-20 und D-B, Mus. ms. autogr. Beethoven 11/2, Bl. 20r-21r). Auch in diesem Fall wurde ein Klavierauszug von Beethoven selbst erstellt (D-B, Mus. ms. autogr. Beethoven 56, Bl. 2v-3v). Ein Brief von Ende Mai 1824 (BGA 1844) belegt, dass Beethoven sich mit der Umarbeitung auseinandersetzte. Darin vertröstet er seinen Bruder mit der Rückgabe der Manuskripte, da er „in dem Bundeslied noch etwas nachzusehen“ habe. Die Umarbeitung beendete Beethoven offenbar erst im Januar 1825.[7]

Zuvor hatte Beethoven das Bundeslied zusammen mit dem Opferlied und der Ariette Der Kuß zunächst Peters in Leipzig (Februar 1823) – am 20. Februar schlägt er ihm vor, die Lieder „in Partitur mit dem Klawierauszug zu geben […]“ (BGA 1575) –, dann Lissner in Petersburg (Mai 1823), Probst in Leipzig (Februar 1824) und Schott in Mainz (November 1824, s. BGA 1901) angeboten.[8] Schott kaufte die drei Stücke, bekam die Stichvorlagen im Februar 1825 und publizierte das Bundeslied in Partitur, in Stimmen und als Klavierauszug zusammen mit dem Opferlied am 23. Juli desselben Jahres. Opferlied, Bundeslied und Der Kuß sollten ursprünglich gemeinsam unter der Opuszahl 121 herausgegeben werden. Die Opuszahl 121 war allerdings bereits vergeben (Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu“, heute op. 121a). Ein Schreibfehler Beethovens – er schrieb versehentlich „121“ statt „122“ – verursachte wahrscheinlich das Missverständnis mit Schott bei der Vergabe der Opuszahl, woraufhin zunächst Der Kuß als op. 121 erschien. Mit Herausgabe der beiden Orchesterlieder Opferlied und Bundeslied wurden die Opusnummern neu vergeben: Dem Opferlied wurde die Werknummer 121 (heute 121b), dem Bundeslied 122 zugeordnet und Der Kuß wurde mit der 128 versehen ([Fußnote:] Vgl. Raab, NGA X/2, S. 237).

Zur Bearbeitung und zur Darstellung in der VideAppArrangements

Im zweiten Modul wurden mehrere Eigenbearbeitungen Beethovens untersucht. Eine davon, das Bundeslied op. 122, ursprünglich für zwei Solostimmen, Chor und Blasinstrumente (2 Clar in B, 2 Fg, 2 Cor in B) komponiert, bearbeitete Beethoven als Lied mit Klavierbegleitung. Die Gesangsstimmen blieben in dieser Fassung unverändert. Die sechs Stimmen der Blasinstrumente übertrug Beethoven auf das Klavier, wobei eine gewisse Reduktion erfolgte. Während sich die Stimme der ersten Klarinette vollständig (mit Ausnahme der Allegro-Takte 185f. und 197f.) im Klavier wiederfindet, sind die Stimmen der zweiten Klarinette und der Fagotte zwar zu weiten Teilen in die Bearbeitung eingegangen, allerdings oftmals oktavversetzt in den Klaviersatz integriert.

T. 74–77 in der Perspektive Fassungssynopse. Die Stimmen der zweiten Klarinette und des zweiten Fagotts wurden oktavversetzt in die Bearbeitung übernommen.

Die Hörner, insofern sie den Satz der Orchesterfassung nicht nur harmonisch füllen, spielen in der Bearbeitung eine etwas untergeordnete Rolle, finden sich aber bspw. in den Takten 24–28 (und in den entsprechenden Wiederholungen T. 64, 104, 144 und 188) repräsentiert. Bis auf wenige Ausnahmen lässt Beethoven die Harmonik in der Bearbeitung unangetastet. Lediglich in T. 3 (und entsprechende Wiederholungen T. 43, 83, 123 und 164) greift Beethoven geringfügig harmonisch ein. Die größten Veränderungen zeigen sich in den drei Allegro-Teilen (T. 187f., 197f. und 209f.) am Schluss des Stücks. Hier passt Beethoven die Arpeggien idiomatisch an das Klavier an.

T. 185f. in der Perspektive Bearbeitungsmaßnahmen.

Die falsche Note im zweiten Sologesang der Orchesterfassung in T. 170 suggeriert in der automatisch generierten Einfärbung der Perspektiven Bearbeitungsmaßnahmen und Einzelnotenvergleich zwar einen Unterschied, ist aber letztlich auf einen Stecherfehler in der Originalausgabe zurückzuführen, der die Codierung quellengetreu folgt (siehe dazu auch Hinweise zur CodierungCodierungsrichtlinien und Fehlerverzeichnis).

Das ausgesprochen hohe Maß an Invarianz und die in varianten Teilen fast ausschließlich auftretenden Oktav-Varianzen bezeugen eine eher routinemäßige und handwerkliche Umsetzung des musikalischen Texts der Vorlage auf das Klavier. Das Beispiel kommt der Erwartung an einen idealtypischen Klavierauszug, einer Reduktion der Vorlage sehr nahe.

Um sich den Verwandtschaftsbeziehungen beider Fassungen zu nähern, bietet sich der Einstieg über die Perspektive Bearbeitungsmaßnahmen an. Hier ist gut zu erkennen, dass der Klaviersatz über weite Teile hohe Übereinstimmung mit der Vorlage des Orchestersatzes aufweist (Invarianz = schwarze Noten). Die rot eingefärbten Noten in der Ausgangsfassung zeigen, welche Teile der Ausgangsfassung nicht übernommen wurden, also um welche Textteile die Klavierbearbeitung im Vergleich mit der Orchesterfassung reduziert wurde. Grüne Noten zeigen Veränderungen (Erweiterungen oder Ersetzungen), die Beethoven im Klavierauszug vorgenommen hat. 

Die Perspektive Einzelnotenvergleich eignet sich als nächster Betrachtungsschritt. Sie zeigt die Beziehung der einzelnen Noten beider Fassungen in detaillierterer Form an. Es werden sechs verschiedene Farben genutzt, um die genaue Verwandtschaftsbeziehung einer Note anzuzeigen. Schwarz bedeutet dabei wiederum Invarianz, pink bedeutet Differenz. Die Farben Orange (Oktav-Varianz), Hellblau (Rhythmus-Varianz), Dunkelblau (Oktav-Rhythmus-Varianz) und Grün (Tonhöhen-Varianz) werden genutzt, um die genauen Varianzbeziehungen zu verdeutlichen. Dabei fällt auf, dass im Beispiel des Bundesliedes die Oktav-Varianzen einen Großteil der Abweichungen ausmachen. Differenzen tauchen in der Klavierbearbeitung keine auf. Ebenso wie die Perspektive Bearbeitungsmaßnahmen zeigt auch der Einzelnotenvergleich, dass sich die größte Varianz in den Allegro-Takten 187f., 197f. und 209f. findet. 

Dass der Klavierauszug sehr nah an der Vorlage bleibt und wenig bis keine kreativen oder strukturellen Eingriffe aufweist, verdeutlicht nicht zuletzt auch die abstrakte Perspektive Stimmenkontur: Hier lässt sich sehr gut die enge Verwandtschaft beider Fassungen durch die Überlagerung der Stimmverläufe erkennen. Die Stimmenkonturen der Orchesterfassung sind rot, die der Klavierfassung grün eingefärbt. Invarianz wird wie in allen anderen Perspektiven auch durch Schwarz-Einfärbung verdeutlicht. Die roten Stimmverläufe, die sich nicht mit grünen Stimmverläufen überlagern, sind in den meisten Fällen in parallelen Oktaven verlaufende Stimmen, die in die Klavierfassung nicht übernommen wurden. Erkennen lässt sich anhand dieser Perspektive auch die orgelpunktartig wiederholte Viertelnote F der Hörner in den Takten 17–20 und 24–28 (sowie in den Wiederholungen), die rhythmisiert im Klavier von der linken Hand übernommen und damit in tiefere Oktaven versetzt wurde. Es handelt sich dabei zwar um Oktav-Varianz, aber das Auge kann anhand der Stimmenkontur intuitiv und schnell die Ähnlichkeit solcher Stimmverläufe erfassen.

T. 24–28 in der Perspektive Stimmenkontur.

Hinweise zur Codierung

Die der VideAppArr zugrundeliegenden MEI-Codierungen basieren für das Bundeslied op. 122 auf den jeweiligen Originalausgaben der Orchesterfassung (in Stimmen) und des Klavierauszugs (siehe Quellen). Dabei ist es nicht das Ziel, eine kritische Edition des Bundeslieds und des Klavierauszugs zu erstellen. Deshalb werden die in den genannten Ausgaben vorhandenen Fehler, Defizite und Inkonsistenzen (z. B. Dynamikangaben, Bogensetzung, Artikulation betreffend) nicht korrigiert. Fehler der Originalausgaben, welche den primären Notentext (Tonhöhen, Tondauern, Schlüssel, etc.) betreffen, den wir mit unseren Vergleichswerkzeugen untersuchen, werden mit einem Sternchen „*“ markiert, innerhalb der Codierung mit einer Anmerkung versehen und die korrekte Lesart im Fehlerverzeichnis angegeben. Die quellengetreu in die Daten übernommenen Fehler werden in den verschiedenen Perspektiven der Anwendung entsprechend als Varianz erkannt. Nur gravierende Fehler, die nicht nur lokal begrenzt sind, sondern in der späteren vergleichenden Datenauswertung über weite Strecken die Ergebnisse verzerren würden, werden behoben.

Bei den verschiedenen im zweiten Modul untersuchten Fassungsvergleichen wurden bewusst unterschiedlichste Quellentypen (Originalausgabe, NGA, Studienpartitur) gewählt, um die Funktion der Software an verschiedenen Ausgangsquellen zu demonstrieren.

Ausführliche Informationen zu den Codierungsrichtlinien sind hier zu finden.

Folgende Fehler des primären Notentextes finden sich in den Originalausgaben:

Orchesterfassung:

Klavierfassung:

Verwendete Literatur

Richard Sänger

Anmerkungen

[1] Vgl. Lühning, NGA XII/1, S. 105.

[2] Vgl. Raab, NGA X/2, S. 234.

[3] Vgl. Raab, Ein gegensätzliches Paar, S. 295.

[4] Vgl. LvBWV, Band 1, S. 784.

[5] Siehe Schindler/Beethoven 1860, Bd. 2, S. 152.

[6] Vgl. Raab, NGA X/2, S. 234, 243.

[7] Vgl. Ludwig van Beethovens Konversationshefte, Bd. 7, S. 104, 112.

[8] Vgl. Lühning, NGA XII/1, S. 105.