Irische Lieder I, für eine oder zwei Singstimmen mit Begleitung von Klavier, Violine und Violoncello,  WoO 152

Datierung/Entstehung

Beethoven komponierte die Liedsammlung Irische Lieder I, für eine oder zwei Singstimmen mit Begleitung von Klavier, Violine und Violoncello in mehreren Phasen von 1810 bis 1813. Die erste Gruppe von Liedern entstand im Jahr 1810 und umfasst die Nummern 1–9, 12, 14–18, 20, 23, 26 sowie 27–29. Im Frühjahr 1812 folgten die Lieder mit den Nummern 10, 11, 13, 19, 21, 22, 24 und 25. Die Lieder mit den Nummern 5, 22 und 25 wurden von Beethoven wahrscheinlich in den letzten Monaten des Jahres 1812 bzw. zu Beginn des Jahres 1813 überarbeitet.

Am 1. Juli 1806 fragte der schottische Musikliebhaber und Verleger George Thomson Beethoven, ob er bereit sei, schottische Melodien für ihn zu arrangieren (BGA 253). Nachdem Beethoven Ende 1806 zugesagt hatte (BGA 259), übersandte Thomson ihm 21 Melodien, die jedoch wahrscheinlich auf dem Postweg verloren gegangen sind. Am 25. September 1809 schickte Thomson erneut eine nunmehr auf 43 Melodien erweiterte Sammlung, die auch die verlorengegangenen 21 Melodien enthielten (BGA 401). Darunter befanden sich auch die irischen Melodien, deren Bearbeitungen durch Beethoven später in die Sammlung WoO 152 (Nr. 2–6, 9, 12, 14, 16–18, 26 und 29) eingegangen sind. Am 10. Februar 1810 lieferte Thomson weitere Liedmelodien, darunter die Nummern 1, 7, 8, 15, 20, 23 und 27 von WoO 152 (BGA 426). Am 17. Juli 1810 schickte Beethoven seine Bearbeitungen in dreifacher Ausfertigung auf getrennten Wegen nach Edinburgh, Thomsons Wohnort. Napoleon hatte im November 1806 gegenüber dem Vereinigten englischen Königreich eine bis 1813 reichende Wirtschaftsblockade verhängt (Kontinentalsperre), wodurch auch die Postwege empfindlich beeinträchtigt waren. Als George Thomson auch nach einem Jahr keine der drei Sendungen erhalten hatte, ließ Beethoven eine neue Kopistenabschrift[1] anfertigen und versandte diese am 20. Juli 1811 nach Edinburgh (BGA 515). Diesmal erhielt Thomson die Sendung und bestätigte Beethoven am 5. August 1812 deren Eingang (BGA 590). Zugleich bat er ihn, an einigen der Bearbeitungen Änderungen vorzunehmen, darunter das Liedarrangement WoO 152 Nr. 5, das Thomson spieltechnisch für zu kompliziert und anspruchsvoll erachtete. Um den Jahreswechsel 1811/12 schickte Thomson weitere Melodien (Nr. 3, 10, 11, 19, 21, 22, 24 und 25) an Beethoven. 

Im Juli 1812 sandte Beethoven seine Bearbeitungen der Lieder nach Edinburgh zurück, woraufhin Thomson erneute Bedenken bezüglich des Schwierigkeitsgrads äußerte und um eine weitere Überarbeitung bat (BGA 604). Daraufhin fertigte Beethoven neue Bearbeitungen an, darunter WoO 152 Nr. 5, 22, und 25, die als komplette Neubearbeitungen zu betrachten sind. Im Begleitbrief zu den überarbeiteten Liedfassungen machte Beethoven deutlich, dass nach seiner Ansicht eine Umarbeitung den Charakter der Komposition verändert (BGA 623). Mit den vorliegenden Liedbearbeitungen war Thomson zufrieden. 1814 veröffentlichte er die Lieder und schickte ein Druckexemplar an Beethoven. Am 15. September 1814 schickte Beethoven ein Fehlerverzeichnis an Thomson und bat um entsprechende Korrekturen (BGA 739). Eine korrigierte Auflage erschien Ende 1814 oder Anfang 1815[2].

Ausgangs– und Zieldokument 

Originalausgabe (D-BNba, C 252/31, D-BNba, C 252/151) 

Der Erstdruck der Originalausgabe erschien im März 1814 unter dem Titel Select Collection of Original Irish Airs, Vol: 1 bei Thomas Preston in London sowie George Thomson in Edinburgh. Die Ausgabe enthält eine Klavierstimme mit überlegtem Gesang sowie bedarfsweise auch die Begleitstimmen einer Violinstimme und einer Violoncellostimme. Diese Originalausgabe enthält insgesamt 30 Lieder, von denen Beethoven die Lieder WoO 152, Nr. 1–29 bearbeitet oder komponiert hat, während die Nr. 30 (Hob.XXXIb:61) von Sigismund Neukomm stammt[3].

Nach der ersten Drucklegung schickte der Verleger G. Thomson am 23. April 1814 den gedruckten Band an Beethoven (BGA 713), den sich Beethoven gleich zur Korrektur vornahm. Beethoven ließ seinen Kopisten (Wenzel Schlemmer?) ein Fehlerverzeichnis anfertigen und mit einem Brief (BGA 739) wurde das Revisionsdokument an den Verleger geschickt[4]. Thomson berücksichtigte diese Revisionswünsche Beethovens und es erschien Ende 1814 oder Anfang 1815 (datiert im Vorwort „anno 1814“) eine korrigierte Auflage. Im Vorwort wurde diese Korrektur ebenfalls erwähnt[5]

Die Revisionen von Beethoven wurden allerdings in der genannten Neuauflage nicht vollständig integriert. Es bleibt jedoch unklar, ob Beethovens Änderungswünsche bewusst vom Herausgeber und Verleger Thomson unterlassen wurden oder ob es sich um Unachtsamkeiten handelt. Bereits im Jahr 1812 hatte der Verleger mehrfach Bedenken über die übermäßig anspruchsvollen technischen Aspekte der Kompositionen geäußert, daher ist es möglich, dass Thomson entschieden hat, bestimmte Revisionen nicht zu übernehmen.

Revisionsdokument (D-B, Mus.ms.autogr. Beethoven 29 V)

Das Layout des Dokuments ist im Querformat angelegt. Es enthält insgesamt 9 Notensysteme, wobei immer 3 Systeme gruppiert sind. Jede Gruppierung umfasst eine Solostimme und eine zweistimmige Begleitung. Die Korrekturliste des Kopisten erstreckt sich über 6 Notenseiten. Aus Platzgründen wurden die bereits vorgefertigten Anordnungen ignoriert und der Kopist schrieb nur die von Korrektur betroffene Stimme in der Zielfassung. Daher wechseln sich häufig Klavier rechte und linke Hand in einer Notenzeile ab. Die Takte, die keine Korrekturen enthielten, wurden durch mehrtaktige Pausen angezeigt.

Dieses Dokument enthält Korrekturen für die Nummern 1–25, 28 und 29. Es sind keine zusätzlichen Anmerkungen oder Verweismarken vorhanden, wie sie in einigen der Revisionsdokumente Beethovens zu finden sind, um die Korrekturen zu verdeutlichen. In diesem Dokument wurden nur die finalen Änderungen niedergeschrieben, ohne zusätzliche Anmerkungen oder Erläuterungen. Dies führt an einigen Stellen zu Verwirrung darüber, ob es sich um eine Tilgung oder nur um das Fehlen eines sekundären Notationselements handelt. In solchen Fällen ist es notwendig, dieses Revisionsdokument mit weiteren Zeugnissen wie dem Autograph oder einer überprüften Abschrift zu vergleichen.

Die Abbildung 1 zeigt T. 6 und 8 von Nr. 6. Gemäß dem Revisionsdokument sollte das p im T. 6 gelöscht und das f im T. 8 in der OA I durch p ersetzt werden. Wie jedoch aus der überprüften Abschrift[6] hervorgeht, gehört das p doch zu dem T. 6. Solche Unklarheiten wurden in der vorliegenden Dokumentation meist nicht durch weitere werkbezogene Dokumente interpretiert, sondern als Beleg für die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Revisionsdokuments betrachtet. Ähnliche Unsicherheiten aus dem Revisionsdokument werden nach der komparativen Ansicht der betroffenen Nummern im Kommentar angezeigt.

Abb. 1: T. 6 und 8 von Nr. 6

Transkription des Revisionsdokument

Das Revisionsdokument zeigt, dass aus Platzgründen oft linke und rechte Hand nacheinander in einer Notenzeile geschrieben wurden. Bei einem Stimmenwechsel wurden sie jedoch in der annotierten Transkription den entsprechenden Systemen zugeordnet. Da dieses Revisionsdokument zahlreiche kleinere Korrekturwünsche von Beethoven enthält, wurde nur die Nr. 1 für eine vollständige komparative Ansicht ausgewählt, während die weiteren Nummern neben der annotierten Transkription eine zusätzliche Liste erhalten haben, in der alle Änderungsobjekte aus dem Revisionsdokument aufgelistet sind. Ohne die komparative Ansicht mit Ausgangs- und Zieltext ist es schwierig zu erkennen, wo eine Tilgung vorgenommen wurde, da im Revisionsdokument nur die Zielfassung niedergeschrieben ist. Daher wurden die zu tilgenden Objekte des Revisionsdokuments in roter Markierung in die Transkription eingefügt.


Quellen 

Literatur

Ran Mo


[1] D-B, Mus.ms.autogr. Beethoven, L. v. 29 IV, 1/2.

[2] LvBWV, S. 383.

[3] „The Air, is the only one in this volume of which the Symphonies and Accompaniments are not composed by Beethoven: – They are by Haydn“ (OA, S. 72). Jedoch wurde diese Liedbearbeitung von seinem damaligen Schüler S. Neukomm komponiert und unter dem Namen Haydn veröffentlicht (Haydn Studien, Bd. III, S. 151).

[4] „Le trasmetto un piccolo elenco di errori trovati nelle 30 Ariette, quali potranno in seguito rendersi noti.“, 15.9.1814, BGA 739.

[5] „After the volume was printed, and some copies of it had been circulated, an opportunity occurred of sending it to BEETHOVEN, who corrected the few inaccuracies that had escaped the notice of the Editor and his friends: and he trusts it will be found without a single error.”, D-BNba, C 252/151, S. 2.

[6] D-B, Mus.ms.autogr. Beethoven, L. v. 29 IV.