Bearbeitung

Bearbeitung bezeichnet im allgemeinen Sinn jede Art von kreativer Veränderung eines vorliegenden Notentextes in eine neue Textgestalt.
Als unabdingbare Kategorie des Komponierens tritt sie, wenn auch in unterschiedlichen Weisen, in jedem kompositorischen Prozess auf: Ein Werk komponieren heißt, einen Text durch stufenweise Bearbeitung bis zum abgeschlossen Werktext weiterzuentwickeln. Schon die Schulung eines Komponisten beruht auf der Einübung verschiedener Bearbeitungspraktiken: Die schriftliche Ausführung einer Generalbassstimme, Variationen über ein vorgegebenes Thema, die kontrapunktische, vorgegebenen Satzregeln folgende Bearbeitung eines cantus firmus, die Herstellung von Klavierauszügen oder die Um- oder Neu-Instrumentation vorgegebener Sätze dienen allesamt der kompositorischen Schulung, können aber auch auf genuine Schöpfungen abzielen. Bearbeitung ist demnach eine grundlegende Arbeitsform innerhalb der Kompositionspraxis.
Allen Bearbeitungsformen gemeinsam ist die lesende und zugleich schreibende Auseinandersetzung mit bereits vorhandenem Material, ganzen Kompositionen oder vorgegebenen Strukturen. Dabei wird zwischen Bearbeitungen von eigenem oder von fremdem musikalischem Material unterschieden.

Im engen, genrebezogenen Sinn wird die Bearbeitung seit dem späten 18. Jahrhundert als Klavierauszug zu einer besonderen Werkform (siehe hierzu Klavierauszug). Bearbeitungen großformaler Kompositionen (Symphonien, Oratorien, Messen, Opern etc.) für kleine Ensemblebesetzungen dienten der Popularisierung und wurden deshalb von Komponisten wie auch von Verlegern als effiziente Form der Verbreitung angesehen und genutzt. Von Beethovens 7. und 8. Symphonie (Wien, 1816 und 1817) erschienen z. B. zusammen mit der Originalausgabe in Stimmen und der Partitur zusätzlich noch sechs Bearbeitungsausgaben (für Harmoniemusik in 9 Stimmen, für Streichquintett, Klaviertrio, Klavierauszug für 2 und 4 Hände und für zwei Klaviere).

Beethovens Sprachgebrauch:

Beethoven spricht im Zusammenhang mit Bearbeitung auch von „Übersetzung“ bzw. von „Überpflanzung“: vgl. dazu die öffentliche Erklärung Beethovens mit Bezug auf die nicht authentische Quintett-Bearbeitung seines Septetts op. 20 im Intelligenzblatt IV, 3.11.1802 zur AmZ: „Das übersetzen [= Bearbeiten] ist eine Sache, wogegen sich heut zu tage (in unserem Zeitalter der Übersetzungen) ein Autor nur umsonst sträuben würde: aber man kann wenigstens mit Recht fordern, dass die Verleger es auf dem Titelblatte anzeigen, damit die Ehre des Autors nicht geschmälert und das Publicum nicht hintergangen werde.“

Die wohl umfangreichste Aussage Beethovens über die Praxis der Bearbeitung befindet sich in einem Brief an Breitkopf & Härtel vom 13. Juli 1802 (BGA 97, Originalbrief verschollen, Text nach Thayer), die ebenfalls als Schlüsseltext über Beethovens eigene Wahrnehmung von Bearbeitungsmaßnahmen verstanden werden kann:

„… die unnatürliche Wuth, die man hat, sogar Klaviersachen auf Geigeninstrumente überpflanzen zu wollen, Instrumente, die so einander in allem entgegengesetzt sind, möchte wohl aufhören können, ich behaupte fest, nur Mozart könne sich selbst vom Klavier auf andere Instrumente übersetzen, sowie Haydn auch – und ohne mich an beide großen Männer anschließen zu wollen, behaupte ich es von meinen Klaviersonaten auch, da nicht allein ganze Stellen gänzlich wegbleiben und umgeändert werden müssen, so muß man – noch hinzuthun, und hier steht der mißliche Stein des Anstoßes, den um zu überwinden man entweder selbst der Meister sein muß, oder wenigstens dieselbe Gewandtheit und Erfindung haben muß – ich habe eine einzige Sonate von mir in ein Quartett für G.[eigen]I.[nstrumente] verwandelt [op. 14], warum [sic] man mich so sehr bat, und ich weiß gewiß, das macht mir nicht so leicht ein andrer nach. –“

Der Brief ist ein Schlüsseltext aus drei Gründen: 1. Die von Beethoven erwähnten Kategorien von „übersetzen“ und „überpflanzen“, die zugleich auf einen Transfer und auf einen Substanzerhalt zielen; 2. Die Abwertung von nicht authentischen Bearbeitungen als schematische und mechanische zeitgenössische Praxis; 3. Die von Beethoven explizit benannten Bearbeitungsmaßnahmen hinzufügen („so muß man – noch hinzuthun“), weglassen („ganze Stellen gänzlich wegbleiben“) und umändern („umgeändert werden müssen“) entsprechen drei der vier bekannten Kategorien der Variantenbildung: Einfügung, Tilgung und Ersetzung.

Bearbeitung aus textgenetischer Sicht:

Im Modul 2 des Forschungsprojekts Beethovens Werkstatt werden ausschließlich Eigenbearbeitungen untersucht, d. h. die von Beethoven selbst hergestellten zwei verschiedenen Fassungen ein und desselben Werks betrachtet.
Für Beethovens Eigenbearbeitungen gilt, dass die Originalfassung in ihrer bearbeiteten Form eindeutig wiedererkennbar ist. Diese Erkennbarkeit beruht auf der partiellen Identität beider Fassungen: In ihr wird die Verwandtschaftsbeziehung beider Fassungen evident. Bearbeitungen unterscheiden sich voneinander zugleich durch Varianz. In ihr zeigen sich Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Fassungen. Varianz kann idiomatisch, spieltechnisch, satztechnisch oder gattungsspezifisch motiviert sein. Eher Ausnahmen bilden Differenzen, die in den Fassungen keine wechselseitige Entsprechung haben. Aus der systematischen Erforschung von Identität, Ähnlichkeitsbeziehungen und der Differenzen lassen sich kompositorische Entscheidungsstrategien, aber auch Routinen ablesen (vgl. dazu auch http://beethovens-werkstatt.de/inhaltliche-fragestellung-des-zweiten-moduls/).

Dadurch, dass der Komponist mit einer bereits schriftlich fixierten Vorlage arbeitet, stellt sich außerdem die Frage nach einer möglichen Veränderung seiner Arbeitsstrategien beim Bearbeiten im Vergleich zum Komponieren.
In der textgenetischen Forschung erlauben es die Eigenbearbeitungen, Bearbeitungsprozesse auch auf der beschränkten Grundlage von Druckausgaben zu untersuchen.

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